Richard Bargel Bluesmusiker, Schriftsteller, Zeichner und Sprecher in Köln

Richard Bargel, Köln, Blues Musiker, Schriftsteller, Zeichner

Leseproben

Auszüge aus: 
"Ein Werwolf hockt im Kreidekreis, heult leise blaue Lieder"
Suchtvolle Texte und Gedichte

Verlust-Reich
Eines der größten Vermögen, die ich jemals besaß, 
war mein Trinkvermögen. 
Es hat mir lange Zeit gereicht, doch leben konnte ich davon nicht.
Jetzt, wo ich es verloren habe,
hat mich der Verlust so reich gemacht,
daß ich endlich davon leben kann!

Paradoxe Lösung
Als ich an dem Problem zu scheitern drohte,
entschloß ich mich zur Aufgabe.
Die konnte ich dann lösen.

Suchtvolle Vogelkunde

Da er keine natürlichen Feinde fürchten muß,
hat sich der Schluckspecht stark vermehrt
und ist zu einer regelrechten Plage
in der Wirtschaft geworden.

Suchtvolle Antwort
"Das ist nicht dein Bier!"
sagte ich zu dem besorgten Mitmenschen,
der mich auf mein exessives Trinkverhalten ansprach,
nahm es ihm aus der Hand und trank es in einem Zuge aus


Der Kreidekreis

Ein Werwolf hat mich einst erschreckt, die Seele wund gebissen,
da ich noch lag im Kinderbett, allein in jener Nacht,
als rot der Mond ins Zimmer schien.

So hab ich einen Kreidekreis ganz eng um mich gezogen,
der mich beschützten sollte vor Teufel und Dämonen,
die mich so früh das Fürchten lehren wollten.

Doch angelockt vom Kreidekreis erschienen böse Geister, 
die gierig nach mir lechzten und mich umschlichen Tag und Nacht 
wie ein Rudel Wölfe.

Und mit den Jahren kamen mehr, wie Woge folgt auf Woge,
sie brandeten an meinen Kreis und brachen sich an meiner Wehr, 
schäumend voller Wut.

Und ich verharrte wie gebannt, erstarrt inmitten meiner Schrecken,
bis ich ein junger Mann geworden war, der krumm im Kreise lag
und sich nicht strecken konnte.

Des Kreises Rund, so klein bemessen, war mir als Kind genug,
doch nun im jungen Mannesalter, die Enge mir den Atem nahm
da ich mich nicht verbiegen wollte.

Mein Geist gebar mir nun Dämonen in meine enge Einsamkeit,
die mich im Kreise hetzten, wo kein Entkommen und ich gefangen war 
in dem verfluchten Kreidekreis.

So schafften sie sich doch den Zutritt, gewannen Oberhand 
und drängten durch die Hintertür der Angst, die unbemerkt ward aufgetan 
am Grunde meines Herzens.

Mit letzter Kraft und einem Mut, den nur Verzweiflung wecken kann,
erschlug ich einen Werwolf und zog sein Fell mir an, 
das saß wie angegossen.

Und so verhüllt, entkam ich schließlich unerkannt der Höllenbrut 
und streifte fortan durch die Nacht. Einsamer Wolf, der sich betrank 
und blaue Lieder heulte.

Und wer ihn in die Enge trieb, den griff er blindlings an,
schlug vielen Menschen Wunden tief, und hinterließ nach jedem Mahl
manch Blutspur auf dem Wege.

Des Werwolfs Ruf sprach sich herum, man rief zur Hetzjagd auf 
und fast hätt man ihn tot getreten, wäre eine Wölfin nicht gekommen, 
die ihn heraus gebissen hat.

Da liegt er nun, erschöpft, verletzt und leckt sich seine Wunden,
die Wölfin hat ihn längst durchschaut, er aber manchmal noch vergißt, 
daß er doch nur ein Schaf im Wolfspelz ist.


Grenzerfahrung

Wie und wann ich den Grenzübergang erreichte und schließlich passierte, 
weiß ich nicht mehr. Da war auch nichts.
Nichts zu sehen. Nichts zu hören. Nichts zu spüren. Nichts zu fühlen 
und erst recht nichts zu erahnen. Nichts! Gar nichts!

In den Zug der Flüchtlinge hatte ich mich eingereiht,
suchte dort den Schutz und die Gesellschaft Gleichgesinnter.
Ein endloser Strom wankender Gestalten,
Frauen, Männer, Kinder, der nicht abzureißen schien.
Und obwohl unsere Lage immer bedrohlicher wurde,
lachten und scherzten wir, trieben uns mit derben Späßen weiter,
aßen wenig und tranken um so mehr.
Das war so unsere Art mit uns umzugehen,
die Vergangenheit zu meiden, die Gegenwart erträglicher zu machen
und die Zukunft auszuschließen.

Der Grenzübergang:
Da war nichts. Gar nichts!
Kein Schlagbaum, keine Kontrolle! Nichts!
Außer einem vagen Gefühl des Verlustes vielleicht,
aber verloren hatte wir ja alle irgend etwas
und wer achtete damals schon darauf.
Ja später, sehr viel später, als es längst zu spät war,
wußten wir, warum es zu diesem Zeitpunkt keine Kontrolle mehr gab,
tauchte plötzlich das bittere Wort Kontrollverlust
in unseren Reihen auf. Flog von Mund zu Mund,
rief Ungläubigkeit hervor, löste in jedem von uns Entsetzen aus.
Aber woran hätten wir erkennen können, daß wir blindlings in die Falle tappten?
Da war ja nichts! Keine Warnschilder, keine Posten, keine Wachtürme.
Nichts! Gar nichts!

Kein Stacheldrahtverhau, an dem wir hätten hängen bleiben können.
Kein Stolperdraht, der uns zu Fall gebracht,
keine Mauer, die sich uns in den Weg gestellt hätte.
Keine Tretminen, die wir hätten fürchten müssen.
Kein elektrisch geladener Zaun, der uns verbrannt hätte.
Kein Heer, daß sich uns in den Weg stellte.
Nichts war da! Gar nichts!

Heimliche, unheimliche, unsichtbare Grenze.

Torkelnd und trunkend, grölend und lauthals lachend
schlugen wir uns aufmunternd auf die Schultern,
prahlten mit unseren Heldentaten auf unserer scheinbar so gelungenen Flucht,
passierten dann, irgendwann, jeder einzeln und für sich allein, den Übergang.
Bemerkten nicht den verhängnisvollen Seitenwechsel.
Sahen nicht die Mauer, die sich plötzlich hinter uns erhob,
unüberwindbar höher in den Himmel wuchs.
Wußten nicht, daß wir eine Grenze überschritten hatten,
über die es kein Zurück mehr gab.
Nichts war zu merken, nichts zu fühlen, nichts zu spüren,
nichts zu erkennen, nichts zu erahnen.
Nichts. Gar nichts!

Ja, heute bin ich mir ihrer bewußt, weiß um ihre Existenz,
und manchmal kann ich sie auch sehen, 
die heimliche, unheimliche, unsichtbare Grenze.
Ich bin ja auf der anderen Seite!
Wenn ich ganz scharf hinsehe,
kann ich auch ihren Standort ungefähr bestimmen.

Und immer wieder begegne ich dem Flüchtlingsstrom, der nicht abreißen will.
Muß ertragen, daß mein Schreien und Winken unbeachtet bleiben,
daß meine Warnungen ungehört verhallen und weiß doch zu genau, 
daß sie nichts sehen, nichts spüren, nichts ahnen, nichts erkennen können!
Nichts.! Gar nichts!

So stehe ich hilflos vor meiner Hilflosigkeit,
trauere um die ahnungslosen Frauen, Männer, Kinder,
die jeden Tag und jede Nacht den verhängnisvollen Übergang passieren.
Die heimliche, unheimliche, unsichtbare Grenze überschreiten,
die sie nicht sehen und nicht wahrnehmen können,
die sich aber jedem, der sie überschreitet, so qualvoll langsam u
nd manchmal über viele Jahre immer tiefer ins Gedächtnis brennt,
ein Brandmal hinterläßt, daß so schwer zu deuten, so fürchterlich entstellend ist,
daß sie nicht wagen es nur anzusehen, schon gar nicht wagen
die drei entsetzlichen Worte, die in der brennend heißen Wunde
nun immer deutlicher für sie erkennbar werden, zu entziffern 
und schließlich doch gezwungen sind, gezwungen werden, 
der Wahrheit ins Gesicht zu sehen, mit bebendem Herzen und zitternden Lippen
das Entsetzliche endlich auszusprechen:

Ich bin Süchtig.

Ja, da steht es.
Klar und deutlich.
Unübersehbar.
Unmißverständlich.
Ist nicht mehr zu verleugnen.
Ist unauslöschlich eingebrannt:

Süchtig!

Der Erkenntnis folgt der Schock, 
folgt das lähmende Entsetzen nie gekannter Furcht,
folgt die unbeschreibliche Qual des Verlustes,
folgt dem unbegreiflichen Geschehen der tiefe Absturz
in den schwarzen Abgrund albtraumhafter Angst,
wächst verzweifelter Widerstand, unsinniges Aufbegehren, 
wird der Widerwille gegen diesen ständigen und tödlichen Begleiter,
der sich ihrer hat bemächtigt, übermächtig.
Ein Begleiter, der ihnen nicht mehr von der Seite weicht,
ein Leben lang tödliche Bedrohung ist
und deshalb einen viel zu harmlosen Namen hat:

Suchtgedächnis.

Von nun an ist es hinterhältiger Feind, den zum Freund zu machen 
mir vielleicht gelungen ist, trotz all der bitterer Niederlagen 
in demütigenden Zweikämpfen, die ein Jahrzehnt lang währten.
Brüchig ist sie diese Freundschaft. Ich muß uns stets im Auge behalten,
wachsam und argwöhnisch unser Verhältnis
und unser Verhalten analysieren, stets gewappnet sein.
Ist er doch ein Schläfer, geduldig wartend auf den Tag,
mich zu erschlagen hinterrücks, da ich achtlos und unvorsichtig werde,
mich in Sicherheit und Selbstgefälligkeit wiege
und in einem Übermaß an Selbstüberschätzung erneut zu flüchten wage.
Zurück über die Grenze vielleicht?
Über die heimliche, unheimliche, unsichtbare Grenze?
Diese Flucht wird mein Verderben sein.
Jede andere Flucht kann mein Verderben sein!

Heimliche, unheimliche, unsichtbare Grenze.

Ein Fluchtweg ist ausgeschlossen. Mein Freundfeind bietet derer viele, 
doch mein Herz weiß es, meine Seele weiß es, sagen mir, 
daß jeder Fluchtweg in den Weg mündet, auf dem ich hergekommen bin
und der mich früher oder später zurück führt.
Zurück zum Strom der Flüchtlinge.
Zurück zu Not und Elend in diesem Treck der Weinseligen.
Zurück in die Reihen der torkelnden und trunkenden, 
treibenden und leidenden Gestalten.
Zurück zu den Zurückbleibenden,
die beiderseits des Weges einsam und stumm verrecken.
Zurück zu dem maßlosen Sterben am Straßenrand.

Und Du ? Bleibt bei Dir etwas zurück ?
Und lauscht Du noch dem Nachklang meiner Worte,
die mir nur mühevoll gerieten, da die Erinnerungen sich schmerzhaft drängten,
und Worte für das Unaussprechliche und Unbeschreibliche
so furchtbar schwer zu finden waren?
Oder bleibt in deinem Herzen, da es vielleicht nur Worte sind, nichts zurück ?

Nichts?

Gar nichts?


 

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